Circle

Eine Ambivalenz der Arbeit, die es zu verstehen gilt

Alphabetisierung und die damit einhergehend Fähigkeit zu schreiben, erlernen die meisten in der Schule zumeist noch handschriftlich. Dabei unterliegt der pädagogisch geprägte Schreibprozess bestimmten Normen in Ausdehnung, Form, Setzung und Verlauf der Schrift, sowie der Wahl der Schriftfarbe und des Untergrundes, üblicherweise weißes Papier. Dieses wird in seinem normierten Ausmaß und innerhalb in der eindeutigen Ausrichtung, Höhe und Zahl der zu beschreibenden Zeilen äußerlich begrenzt.

Die Fähigkeit zu schreiben, soll(te) mit der Wiederholung der Form und Aussprache der Buchstaben zunehmen. Eine positive Bewertung der Lehrenden erfolgt über eine erfolgreiche Assimilation der vorgegebenen Rahmenbedingungen.

Was geschieht aber, wenn man mit Teilen des Erlernten bricht?

Der Film CIRCLE zeigt verschiedenen Szenen, wohlmöglich der gleichen Person, wie sie wiederholend schreibt oder gar zeichnet. Die Fülle des lateinischen Alphabets wird auf vier bestimmte Buchstaben und mit ihnen gekoppelt zwei natürliche Zahlen reduziert die eine feste Komposition, eine Art Skript bilden.

Seinen Namen zu schreiben, ist für Analphabeten die einzige Grundlage einen rechtsgültigen Identitätsnachweis zu erlangen. Wir durchlaufen eine filmische Evolution des Identitätsnachweises. Welcher auf der Wiederholung von Form und Bewegung basiert. Eine Evolution vom Spiel mit den Dimensionen. Ein Training für den Betrachter.

Von der Zweidimensionalität einer Markierung auf einer geschlossenen, flachen Fläche entwickelt es sich hin zur Dreidimensionalität. Die in minimalen Variationen ausgeführten Graffiti überziehen dabei verschiedenste angrenzende Oberflächen, ertasten deren Volumen, Dichte und Texturen. Architektur und Oberflächengrenzen werden ignoriert, ihre Ausmaße bisweilen überschritten. Die Bedeutung der vierten Dimension wird mit filmisch fortschreitender Abnahme der Flächendichte, der Zunahme von Anschnitten, misslungener Formatwahl als auch bewusst eingeschränkter Bewegungsabläufe und damit einhergehend der Unlesbarkeit der Formen deutlich. Eine bewusste Abstraktion, die schmunzeln lässt. Die Zeichen verkommen zu Fragmenten. Ihre Sinnhaftigkeit scheint nur noch aus dem Kontext des Filmes und der verbrachten Zeit verständlich. Der Film schafft den Zusammenhang der unbewegten Graffitibilder im urbanen Raum. Er setzt sie in eine sinnhafte Reihenfolge zueinander und verleiht somit den undefinierbaren Kritzeleien eine inhaltliche Stabilität. Der Fokus verschiebt sich dabei allmählich vom Bild hin zum Körper des Ausführenden. Der Körper wird zu einem Abbild des Tagkörpers. Die Gestik der Handlung, die Bewegung an sich, wird zum Kern der Arbeit. Eine Pantomime. Sprache und damit Schrift gehen zu getanzten Formen über. Der Tanz ahmt den Namen nach. Der Name wird zur Handlungsvorgabe für neue filmische Bilder. Eine Kontextverschiebung, hin zum Performativen. Der Höhepunkt scheint die Verschwendung der Geste durch das sprühen in die Luft und damit die Verschwendung der Geste an sich zu sein. Ein deutbares, leserliches „Ich bin“ wird zu „ich tue“. Erst das Video schafft die Ordnung. Als Dokument wird es damit selbst zur künstlerischen Arbeit und eigenständiger Ausdrucksform.

Vergänglichkeit der Mühe, Auflösung, Puls der Zeit, Aufbau, Abriss, Maschinelles Denken, Serielles Denken, Selbstoptimierung, Reproduktion, Routine, Ritual, Arbeit, Quantität, Besitz sind alles Begrifflichkeiten, welche bei diesem Werk mitschwingen. In der Abfolge der filmischen Bilder mündet der Identitätsnachweis in dessen Auflösung, hinterfragt dessen Wert.

Die Grundidee des choreographierten Namens, bietet in seiner permanenten Reproduktion mehrere Lösungswege, aber keine Erleichterung. Autorenschaft als Last. Überbleibsel sind nicht Publizität oder dechiffrierbare Markierung, sondern die Bewegung. Ein sein ohne dauerhafte Hinterlassenschaft in der urbanen Landschaft. Vergnügen am Zwang der Form, an der Grenze des Körpers. Abnutzung der Gewohnheit? Historisierung des eigenen Handelns, allein deutbar durch konservierende Zeitdokumente. Tagebuch der Wandlung. Was bleibt? Kann man seinem eigenen Handeln mit Logik begegnen? Die Markierung als Selbsterkenntnis des ich bin, ich war.

Was ist mit ich werde?

Wie klingt ein Ton, wenn keiner hinhört, wie sieht ein Bild aus, das nur gedacht wird? Nicht alles festhalten zu wollen oder gar zu können, scheint die Erkenntnis zu sein, ohne Bilddokument keinen Beweis zu haben.

Es sind die humoristischen SNOW 21 4D Grafiken. Die wie auf einem imaginären Fließband markierte urbane Landschaft, in ihrer filmischen digitalen Repräsentation, mutiert zur vermeintlich virtuellen Dauerhaftigkeit. Eine Ambivalenz der Arbeit, die es zu verstehen gilt .